Galgenweg

Herberge zum Aufstieg

 

Herberge zum Aufstieg

Eine alte Sage wurde von älteren Leuten oft in der „Eintracht“ oder in der Traube in Ottikon an düsteren Novembertagen erzählt.

Vom Kemptthal Richtung Rossberg, im kleinen Wäldchen (in der Nähe der Maggi-Villa) stand vor sehr, sehr langer Zeit ein Gasthaus. Die Ruinen sind heute noch sichtbar.
Durchreisende zur Kyburg nächtigten oft in den kargen Gemächern in diesem Gasthaus.

Über dieses Gasthaus wird folgende Sage erzählt.
Die Herberge wurde von einem Ehepaar geführt. Der Wirt war meisten der beste Gast.
Seiner Frau wurden in der Gegend übersinnliche Fähigkeiten nachgesagt.
Ja, sie wurde als Hexe verschrien.
Sie kannte sich besonders bei Kräutern und Pilzen, die sie hinten in der Tobelwies pflückte, sehr gut aus. So sah man sie

in hellen Vollmondnächten durch dieses Tälchen schleichen

und nach etwas Bestimmten suchen.
Ihr rotes Haar hing in Strähnen über ihre knochigen Backen. Die Nase, (mit der wie eine Spinne aussehende Warze) teilte die fettigen Haarsträhnen in zwei Hälften, wodurch der spitze Mund zur Geltung kam.
Huschte ein kleines Lächeln über die Lippen, kamen die Zähne, in deren Mitte ein dunkles Loch klaffte, zum Vorschein. Die grünlichen Augen durchstachen selbst die darüber liegenden Haare.
Als gute Köchin stand sie am Holzherd, während ihr Mann sich mit den Gästen unterhielt.
Dies besonders, wenn nur ein Mann alleine diese Herberge besuchte. Er verstand es ausgezeichnet, ihn auszufragen.
Trug der Durchreisende kostbaren Schmuck auf sich, und deutete er an, dass er wertvolle Gegenstände in die Kyburg bringen werde, so informierte der Wirt in der Küche seine Frau.
Der Wirt empfahl dem hungrigen Gast das übliche Nachtessen einzunehmen.
Kartoffelsuppe, Sauerkraut, ein grosse Stück Fleisch von der eigenen Sau, ein Pilzgericht mit frischen, aus im nahen Walde gepflückten Pilzen und als Grundlage ein Rübenmus.
Aus dem Keller kühlen, sauren Most.
Die Mahlzeit trug die Wirtin eigenhändig auf. Ehe sie sich jedoch in die Gaststube begab, verwandelte sie sich schnellstens in eine bildhübsche Frau.
So hatte sie ihr Haar, welches im Lichte der Laterne gülden schimmerte, hinten zu einem Knoten zusammengebunden. Die roten Backen, von der Arbeit am Herd, leuchteten wie zwei Monde.
Ihre grünen Augen stachen direkt in das Herz des Reisenden.
Die Schürze hatte sie ausgezogen und trug nun leichtbekleidet die Speisen auf. Die Kerzen auf den hölzernen, grobgehobelten Tischen flackerten wie vom frischen Winde genährt.
Es war immer wieder dasselbe. Beim Anblick dieser, mit scheinbar übersinnlichen Fähigkeiten ausgestatte, nun wie verhexten, bildhübschen Frau, bekam jeder weiche Knie.
Es blieb nicht bei einem Glase vergorenen Saftes, denn das scharf gewürzte Pilzgericht verlangte nach Flüssigkeit.
Durch den Alkoholgehalt stieg die Lebenslust des Mannes.
Die Männer waren kaum mehr zu halten, als dieses ausserordentliche Wesen von Wirtin fragte, ob sie nun den Gesättigten ins Schlafgemach begleiten solle. Ins Ohr flüsterte sie, ich werde mich noch einen Moment zu dir ins Bett legen.
Das Herz des Angesprochenen schlug so hoch, dass man es im Gastzimmer, in dem sie alleine waren, denn der Wirt hat sich in die Küche begeben, schlagen hörte.
Dass es bald die letzten Herzschläge sein werden, wusste der Angesprochenen natürlich nicht.

Die schöne Wirtin begleitete ihn zum Bett. Der Liebeshungrige schlief jedoch augenblicklich, und nun für immer ein, denn das Pilzgericht förderte ihn in Jenseits.
Die Wirtin löste ihren Knoten im Haar, die Strähnen hingen über ihre wieder weissen Backenknochen.
Die grünen Augen wie ein Schwert auf den bereits tot liegenden Gast gerichtet. Sie streifte die Goldringe gierig von den noch warmen Fingern, riss die goldenen Kreuze und Amulette vom Hals, zog den Geldbeutel aus der Tasche. Aus Dankbarkeit für diese „Geschenke“ streifte dieses kalte Weib mit ihren eiskalten Fingern über den Kopf des soeben verstorbenen Gastes und schloss ihm die Augenlider.
Ihr Mann hatte an diesem Abend keinen Alkohol getrunken.

Am nächsten Morgen war ein weiterer kleiner Hügel zwischen den Grabstätten-Nekrologe aus der im Studenbrunnenholz, feinsäuberlich mit Tannenreisig überdeckt.
So waren mehrere Männer spurlos verschwunden. Niemand vermutete das Morden des Wirte-Ehepaares, obwohl die Wirtin vielerorts als Hexe verschrien war.

Ein Knappe von der Kyburg, dessen Vater ebenfalls auf mysteriöse Weise verschwand, glaubte die Lösung in der „Herberge zum Aufstieg“ zu finden.

Er begab sich als einzelner Reisender in die Herberge. Und wieder begann das übliche Ritual. Doch der Knappe trank kaum vom vergorenen Saft.
In einem unbeachteten Moment schüttete er das Pilzgericht unter den Tisch. Der Hund der Wirtin verschlang gierig das ihm hingeschüttete Pilzgericht.
Auch das Herz des Knappen schlug hörbar laut, aber nicht in der Hoffnung auf ein Schäferstündchen, sondern aus Angst.
Er legte sich ins Bett, neben ihm die Wirtin. Er stellt sich tot. Und schon löste sie ihren Haarknoten, die grünen Augen wie ein Dolch auf den Schmuck gerichtet. Langsam legte sich die Hand der Hexe auf die des Knappen, um ihm den Goldring abzusteifen.
Der Jüngling schoss hoch und rannte halsüberkopf davon. Nun kannte er das wohlgehütete Geheimnis.

Wochen später, auf der Wiese oberhalb Ottikons beim Galgenweg. Ein Klicken wie eine Türe geöffnet worden wäre – zwei dumpfe Schläge, wie das Brechen von Knochen.

Von der Kapelle in Ottikon erklang das wimmernde Läuten der kleinen Glocke, was den Tod einer Frau bedeutete und dann wurde am Strick der grösseren Glocke gezogen.
Also starb auch ein Mann.

Oben am Galgenweg verabschiedete sich der Henker. Der Galgen wurde wieder entfernt.